DIE
"ISAR"
VON
ISFAHAN
DER ZAYANDEH RUD -
Vom Verschwinden einer Lebensader
Konzeption, Text und Fotografie
FAKT ODER FIKTION. Ist die Klimakatastrophe schon Realität? Vergleichen wir zwei Flüsse in ihren Städten unter dieser Annahme, könnte die Entscheidung für einen von ihnen schon gefallen sein. Die fortschreitende Erderwärmung macht sich an fragilen Ökosystemen am offensichtlichsten bemerkbar. Was beispielsweise für München die Isar bedeutet, verkörpert der Zayandeh für die iranische Millionenstadt Isfahan. Beide Flüsse sind Lebensadern ihrer Stadt, die das Leben umfänglich prägen. Durch das Wasser, das den Bau zahlreicher Gärten ermöglichte, entwickelten sich auch die Lebenssphilosophien beider Städte. Was diese Lebensadern für die Menschen bedeuten, wenn sie vom Verschwinden bedroht sind, ist in der Wüstenstadt Isfahan zu beobachten und auch spürbar: Die Menschen wandern auf ihren täglichen Wegen, wie nach ihren Seelen Suchende, zwischen sinnlos gewordenen Ufern.
AM FRÜHEN MORGEN kannst Du am Fluss nun die leisen Lieder der Vögel hören, denn sein allerletztes Rauschen ist vergangen. Durch die immerdürstende Stadt windet sich ein braunes Band, ein langer Erdschwamm aufgesaugten und verdunsteten Wassers. Hier und dort noch einsam verlorene Tümpel mit mattem, glasigem Schimmer. Im Flussbett biegen sich zahllose, trockene Lehmplatten wie Teller ohne Gericht. Der Zayandeh Rud hat sein gespiegeltes Licht verloren, seinen Glanz, seine Stimme, sein Antlitz, sein Wesen, all das, was an ihm geliebt wurde. Gedemütigt verabschiedet er sich mit seinen Geschichten und Liedern, und in einem traurig anzuschauenden Bett mit seinen prachtvollen Überbrückungen, bleibt für uns Menschen nur das Ungeliebte. Er ist zu einem Fluss ohne Gesang geworden, dem niemand mehr zuhören kann. Ein Fluss, der kein Gehör mehr findet; ersetzt durch das schlaflose Rauschen einer rastlosen Stadt. Unter alten Steinbögen mit trockenen Fundamenten, singen Männer die Lieder von der Liebe zu ihrem Fluss.
DIE ISFAHANI LIEBEN IHREN FLUSS. Wer liebt denn schon nicht den Fluss, der durch seine Heimatstadt fließt? Und wessen Seele leidet nicht, wenn diese Lebensader versiegt? Zayandeh heißt so auch in der Übersetzung aus Farsi „der Leben spendende“. Er ist dennoch ein sichtbares, tragisches, trauriges Ergebnis der Moderne, mit all der Schizophrenie, die wir täglich fördern.
Er ist auch unser aller Fluss. Isfahan ist eine Millionenstadt inmitten der Wüste, entstanden um 1000 vor Christus, aus einer Karawanserei der Seidenstraße. Der Wert, den die Menschen dem Wasser geben, wird seit damals durch unzählige Parks und Gärten mit grandiosen Bauwerken gewürdigt. Bedingt durch die geographische Lage der Stadt, klimatische Veränderungen, den steigenden Wasserbedarf der wachsenden Bevölkerung und Industrialisierung, wird der Fluss ganzjährig an seinem Oberlauf gestaut, um die Wasserverwendung zu regulieren. Eine kurze Ausnahme gehört im Frühling der Zeit des persischen Neujahrfestes Nouruz, das für die Familien eine besondere Bedeutung darstellt und mit Vorliebe am Fluss und in den Parks gefeiert wird. Es ist eine Zeit der Erlösung, wenn das Wasser im Flussbett rauscht. Alle Isfahani sehnen sich nach diesen kurzen aber glücklichen Wochen.
Was kann uns ein Fluss bedeuten ? Er kann die Verkörperung einer Idee von Ewigkeit sein. Alles an ihm ist ein Weiterfließen, doch immer greifbar. Wo er herstammt und wohin er fließt, bleibt dort, wo wir unsere Füße hineinhängen, ungewiss. Am nächsten Tag ist er immer noch da, durch die Nacht gereist mit seinem gütigen Gleiten und am nächsten Tag und am nächsten Tag auch. Diese zähe Beständigkeit, die über all den von Menschen gemachten Unbill hinwegschaut, verwandelt ihn zu einer Mutter, in deren Schoß man eintaucht und so die Schrecken der Zeit heilt. Ich glaube, in Isfahan kann ich das alles wahrnehmen: die Bereitschaft, jeden Tag auf das Neue mit einem fragilen Glück zu beginnen. Und genau das ist es auch, was diesen Magnetismus, diese anheftend fließende, gesundende Kraft ausmacht: sich mit Freude alles erhoffen dürfen und dabei nichts erwarten. Das iranische Volk ist durch die Lehren aus ihrer Historie ein wahrer Meister darin.
UM MIR EIN BILD ZU MACHEN, war ich im Januar 2019 mit einem geliehenen Fahrrad den Zayandeh in Isfahan abgefahren. Zum dritten Mal besuchte ich diese für mich faszinierende Stadt. Ich hatte keine Vorahnung, dass es für einige Jahre das letzte mal sein würde, denn die Corona-Pandemie veränderte die Lebenssituationen vieler Menschen auf das Entschiedenste. Schon seit geraumer Zeit hatte ich den Wunsch, diesen Fluss kennenzulernen, der Ziel so vieler Karawanen in vielen Jahrhunderten gewesen war. Mit meinen beiden Kameras und wenig konkreten Vorstellungen kam ich an den Fluss und ließ mir von ihm seine Geschichte erzählen. Ich sammelte Bilder und fragte nicht wozu. Der große Sprachsammler und Philologe Viktor Klemperer hatte mich dahingehend motiviert. Ein Sinn würde sich im Nachhinein schon erschließen. Man muss seinen Bildern vertrauen und ihre Bedeutung reifen lassen. Erst zuhause in Bayern ergaben sich dann die Berührungen zwischen der Isar, die durch München fließt und dem Zayandeh Rud in Isfahan.
Videoclip eines Freundes aus Isfahan | Januar 2019
ZWEI JAHRE ZUVOR. Die Menschen der Stadt befinden sich ausgelassen und fröhlich wie auf einer heiteren Pilgerfahrt zu ihrem Fluss. Mit unserem Sohn und einer soeben kennengelernten Familie sitzen wir beim abendlichen Picknick am Wasser. Ich habe den Vater im Vorübergehen angelächelt - er lächelt uns aufmunternd zu, und so sitzen wir nun bei seiner Familie. Heisser, süsser Tee aus dem Samowar, Kekse und Obst sind wie immer reichlich vorhanden, die Gespräche herzliche Zuwendungen. Es sind aufregende und erfüllende Stunden.
Bildquelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=25365009
Der Fluss entspringt im Zagros-Gebirge und fließt in die Provinz Isfahan, wo er nach rund 400 Kilometern in den Gawchuni-See, einen saisonalen Salzsee und ein ehemaliges Sumpfgebiet im Südosten von Isfahan mündet. Der Fluss war der wasserreichste in Zentraliran und einer der wenigen, die ganzjährig Wasser führten. Im Stadtgebiet von Isfahan, wo er von beidseitigen Parkanlagen begleitet wird, wurde der Fluss gestaut, sodass er sich auf die mehrfache Breite ausdehnte. Seit Ende der 2000er Jahre ist er aufgrund von Übernutzung des Grund- und Oberflächenwassers und sinkender Niederschlagsmengen einen Großteil des Jahres ausgetrocknet. (Quelle: Wikipedia)
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