RUHE VOR DEM TOR feat.COVID-19
Konzeption, Text und Fotografie
ADIDAS "FRANZ BECKENBAUER." Mit meinem Fahrrad habe ich immer am Schuhgeschäft angehalten, wenn meine Mutter mich zum Einkaufen geschickt hatte. Im Schaufenster standen die für mich unbezahlbaren Fußballschuhe. Adidas "Franz Beckenbauer", mit 6 Schraubstollen aus Metall, die beim Gehen auf Teer unüberhörbar klackerten. Keine Noppen aus Plastik. Von einem Freund bekam ich später dann gebrauchte Puma "Günther Netzer" geschenkt. Die waren schon ziemlich ausgetreten, aber ich fühlte mich seitdem als Profi. Ich weiß heute noch, wie sie gerochen haben. Ich habe ihren Geruch nach Leder, Schweiß und Gras geliebt. Im Verein stand ich am liebsten im Tor. An ein Spiel kann ich mich noch sehr gut erinnern. Jedes Mal, wenn der Gegner vor mir auftauchte, rauschte der Ball an mir vorbei und surrte an den Maschen des Netzes entlang, bis er im Gras liegen blieb. Das Gras. Wie riecht das Gras auf dem Fussballplatz? Wie Gras eben. Unbeschreiblich. Nach feuchter Erde. Nach Grün. Der Geruch steigt mir immer noch in die Nase, wenn ich auch nur ein Foto von Gras sehe. Manchmal, wenn ich damals nach einem Zusammenprall auf dem Spielfeld liegenblieb, roch es auch nach Spucke. Wir hatten das Spiel verloren. Null zu Elf. Dreizehn bin ich gewesen.
2. NOVEMBER 2020. Ab heute ist wieder „COVID-19“. Für vier Wochen. Zunächst. Das Gras riecht immer noch gleich, aber das Drumherum ist anders als sonst. Die verknoteten, weißroten Plastikbänder sperren den Sportplatz ab wie einen vergifteten Tatort. Ab heute sind Herbstferien, trotzdem ist Ruhe vor dem Tor. Das Dorf schweigt. Sonst hat man abends noch das Vergessene am Spielfeldrand gefunden: eine Drinkflasche, Schienbeinschoner, Torwarthandschuhe. Ein Fahrrad. Auch unser Junge ist so manches Mal, nach Gras und Schweiss duftend, zu Fuß nach Hause gekommen: „Dein Fahrrad?“ „Weiß nicht – ah, ich glaube am Sportplatz“.
(...) Beim Deutschen Fußball-Bund sind sieben Millionen in Menschen in 25 000 Vereinen organisiert, beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) gibt es 27 Millionen Mitgliedschaften in fast 90 000 Vereinen. Die müssen alle für vier Wochen ihre Angebote einstellen; nur noch Individualsport wie Joggen ist erlaubt. ,,Sportdeutschland“, wie das so gerne heißt, steht weitgehend still, das wird beträchtliche Folgen haben. Es kommt manchmal etwas pathetisch daher, wenn der DOSB die Vereine als ,,soziale Tankstellen“ des Landes preist. (...) Aber diese Bedeutung ist nun einmal immens: als Ort der Begegnung und der Bewegung, gerade bei Kindern und Jugendlichen.
Mit freundlicher Genehmigung | Süddeutsche Zeitung | Johannes Aumüller
VG Bild-Kunst Urheber Nummer 644345
©Ralf Gerard 2018 | Impressum & Datenschutz
Ralf Gerard | Impressum